Aus dem englischen
Original übersetzt von Carmen Berelson
Im Jahr 1996 wurde im Ort Suryanelli in Kerala ein 16-jähriges Mädchen verschleppt und über einen Zeitraum von 40 Tagen von 42 Männern brutal vergewaltigt. Dies wurde zu einem der spektakulärsten Beispiele für die Brutalität von Gruppenvergewaltigungen und Sexhandel in Indien. Dieser Fall befindet sich seit 16 Jahren im indischen Rechtssystem, und dennoch hat das Opfer bislang keine Gerechtigkeit erfahren.
Da nach indischem Gesetz Vergewaltigungsopfer nicht namentlich genannt werden dürfen, wurde sie als das „Suryanelli-Mädchen“ bekannt.
Das Suryanelli-Mädchen war ein schüchternes Mädchen, das in einem katholischen Internat behütet heranwuchs, weil ihr Vater, ein Postmeister, und ihre Mutter, eine Krankenschwester, oft versetzt wurden. 1994 zog sie zu ihren Eltern zurück und besuchte dann ein anderes Internat, das nicht ganz so weit von ihrem Elternhaus inmitten der Hügel und Teeplantagen von Suryanelli lag. Jedes Wochenende fuhr sie mit dem Bus nach Hause zu ihren Eltern.
Im Bus lernte sie Raju, den Fahrkartenkontrolleur, kennen. Sie war 16 und er 26. Aber wie das bei Teenagern so ist, verliebte sie sich. Und wie die meisten indischen Mädchen hielt sie diese Liebe vor ihrer streng katholischen Familie geheim. Sie liebte Raju, hatte aber auch Angst vor ihm. Einmal fiel ihm ein Album mit ihren Familienfotos in die Hände, womit er sie erpresste. Er sagte ihr, wenn sie nicht mit ihm weglaufen und ihn heiraten würde, würde er ihre Fotos mit den Körpern nackter Frauen retuschieren und diese Bilder in ihrer Schule kursieren lassen.
Obwohl sie ängstlich war, stimmte sie zu. Am 16. Januar 1996 sollte sie ihn an einer Bushaltestelle in ihrer Gegend treffen, aber er war nicht da. Es war zu spät, um zur Schule zurückzugehen. Sie wurde von Panik ergriffen und nahm einen Bus, der zu der nahegelegenen Stadt fuhr, in der ihre Tante wohnte. Eine unbekannte Frau, die ihr mit einem männlichen Begleiter gefolgt war, sprach sie mit Namen an und stellte sich vor. Sie sagte, dass sie ihre Verwandten kenne und sie zu deren Haus bringen würde. Stattdessen brachten sie sie zu einer Pension in der Nähe und der Mann vergewaltigte sie.
Während der nächsten 42 Tage wurde sie geschlagen und von den verschiedensten Männern vergewaltigt. Sie wurde zu Privathäusern und Hotels gebracht, und wurde in Autos und öffentlichen Omnibussen über 2000 Meilen weit zwischen zwei Staaten hin und hergebracht. Sie wurde gezwungen, Arrack zu trinken, einen Schnaps der Gegend, und mit Tabletten ruhig gestellt.
Zu ihren Vergewaltigern gehörten ein Professor im Ruhestand, Anwälte, Geschäftsleute und Beamte. Als sie sich zur Wehr setzte, drohte der erste Mann, der sie vergewaltigte, ihre Eltern zu ermorden. „Ich bin Anwalt,“ sagte er ihr, „darum werde ich niemals gefasst“.
Ein Mann schien älter zu sein als die anderen und sie appellierte an sein Mitgefühl. „Sie sind alt genug, um mein Vater zu sein. Bitte holen Sie mich hier raus.“ Er vergewaltigte sie ebenfalls.
Als sie schon glaubte, sterben zu müssen, gaben sie ihr ein bisschen Geld und brachten sie zu einer Bushaltestelle. Sie dachte, dass nun alles vorbei sei, aber dies war erst der Anfang.
Im Krankenhaus sagten ihr die Ärzte, ihre Leistengegend und ihre Geschlechtsteile seien so zerfleischt und sie habe so viel Blut verloren, dass sie nach ein paar weiteren Tagen gestorben wäre! Das Bild seiner Tochter in diesem Zustand hat sich unauslöschlich in das Gedächtnis ihres Vaters eingebrannt – ihr aufgedunsener Körper, ihre zerkratztes Gesicht. „Ich kann es nicht beschreiben“, sagt er. „Und ich kann es nicht vergessen. Als sie wegging, war sie ein junges Mädchen in einer Schuluniform. Als sie wiederkam, sah sie wie eine erwachsene Frau aus – ihr Körper war aufgedunsen und geschwollen… Ich wusste sofort, was sie durchgemacht hatte.“
Sie gingen zur örtlichen Polizei, die sie davon abbringen wollte, die Straftat zu melden. Es dauerte zwei Tage, bis der erste Bericht zu den Akten genommen wurde. Die Polizei fuhr mit dem Mädchen und ihrem Vater zu den Orten, an die sie verschleppt wurde – in einem Polizeiauto wie eine Angeklagte, zusammen mit einigen Verdächtigen. Jeder Tag war eine Demütigung. Die Polizei und die Täter schienen wie Freunde – sie lachten miteinander und machten Witze. Dennoch fand das Opfer den Mut, ihre Vergewaltiger zu benennen und zu identifizieren.
Sie wurde von einem männlichen Gynäkologen untersucht. In Indien müssen Opfer von Vergewaltigungen in der Regel den sogenannten „Zwei-Finger-Test“ über sich ergehen lassen. Ärzte untersuchen die Vagina, um zu sehen, ob sie locker ist (der üblicherweise verwendete Begriff) und ob das Hymen fehlt. Beides wird als Beweis dafür gewertet, dass die Frau regelmäßig Sex hatte und somit dem Verkehr zugestimmt haben musste. Im Fall des Suryanelli-Mädchens führte der Arzt den Zwei-Finger-Test nicht durch. Er sagte, ihre Vagina sei einfach zu stark verletzt.
Es dauerte drei Jahre, bis der Fall in das überlastete Gerichtssystem Indiens gelangte. Und als dies endlich der Fall war, standen nicht die Männer auf der Anklagebank sondern der Charakter des Mädchens. Die Anwälte der Angeklagten nahmen sie tagelang in ein erbarmungsloses Kreuzverhör und brachten kleinste Details vor, wohl um sie in Verlegenheit zu bringen.
„Wie viele Unterhosen hatten Sie?“
„Sind Ihre Unterhosen zerrissen, als Sie vergewaltigt wurden?“
„Haben sie die Schnur an Ihren Unterhosen aufgemacht oder durchgeschnitten?“
„Sind die Hosen zerrissen?“
„Trugen Sie während Ihrer Reisen Slipeinlagen?“
Die Männer sagten entweder, dass sie sie gar nicht kannten oder dass sie dem Sex zugestimmt habe. Einige hatten gewisse Verbindungen zu einer politischen Partei und sahen sich angeblich als Opfer eines politischen Rachefeldzugs.
Zumindest bot das Prozessgericht dem Mädchen eine Aussicht auf Gerechtigkeit. Der Richter, der nach indischen Maßstäben liberal war, meinte, dass es nicht als Zustimmung zu werten sei, wenn sich eine Frau nicht widersetze.
Er befand alle 35 Angeklagten für schuldig. Am 6. September 2000 wurden alle 35 Männer von einem Sondergericht zu Gefängnisstrafen zwischen vier und 14 Jahren verurteilt – die Anklagen reichten von Verschwörung und Kidnapping bis zu Gruppenvergewaltigung und Sexhandel. Einen Moment lang sah es so aus, als hätte das Suryanelli-Mädchen gewonnen, aber dem war nicht so.
Einer der Angeklagten war Kurien, den sie wiedererkannte und auf einem Foto identifizierte. Während ihrer Gefangenschaft wurde ihr eines Tages gesagt, dass ein „wichtiger“ Mann sie „besuchen“ würde. Zu dem Zeitpunkt wusste sie nicht, wer er war, bat ihn jedoch, sie zu verschonen und zu retten, da er die Macht dazu hätte. Er tat es aber nicht. Später sah sie sein Gesicht in einer Zeitung und erkannte ihn sofort.
Keiner der Männer kam in Haft. Sie alle legten Berufung ein und wurden auf Kaution entlassen.
Als der Fall neun Jahre später endlich vor das oberste Gericht von Kerala gelangte, wurde das Urteil aufgehoben. Das Gericht sprach alle 35 Vergewaltiger frei. Es befand nur einen der Angeklagten wegen Sexhandels für schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft und einer Geldstrafe von 50.000 Rupien. Der Freispruch kam durch politischen Druck zustande, insbesondere durch den Angeklagten P.J. Kurien, einem früheren Bundesminister und Mitglied der derzeit regierenden Kongresspartei! Selbstverständlich wurden die Männer gemeinsam freigesprochen, immerhin hatten sie die Straftaten gemeinsam begangen. Ansonsten hätten sie gegeneinander aussagen müssen. Die Polizei hat in diesem Fall keine weiteren Verhaftungen vorgenommen!
Die Richter des obersten Gerichts sprachen mit Sarkasmus über das Talent des Opfers, sich schnell mit Fremden anzufreunden, wie das Beispiel des Busfahrers zeige. Sie brachten vor, dass sie als Kind Bettnässer war und sagten, dass die Tatsache, dass ihre Schwester die Laken gewaschen habe, ihre „Neigung, andere für ihre Probleme verantwortlich zu machen“, zeige. Vor allem, so sagten sie, sei sie kein „normales unschuldiges“ 16-jähriges Mädchen. Sie versetzte Schmuck und gab einem heimlichen Freund Geld – ein riskantes Verhalten, das ihren fragwürdigen Charakter beweise. Und warum hatte sie nicht versucht zu fliehen, obwohl sie sich in Pensionen befand und mit öffentlichen Bussen transportiert wurde? Auf ihre Aussagen sei kein Verlass und alles was sie sage, müsse angezweifelt werden.
Die entscheidende Frage war laut der Richter nicht, ob sie im Laufe von 42 Tagen mit mehr als drei Dutzend Männern Sex hatte, sondern ob sie ihnen eine willige Partnerin gewesen war, die sich jetzt gegen sie wandte, um ihren Ruf zu schützen. „Sie brauchte Geld und sie war bereit, ihr Ziel zu erreichen. Sie hatte Bedürfnisse, von denen ihre Eltern nichts wussten“, sagte das Gericht. „Sie hat sich somit als Mädchen von zweifelhaftem Charakter gezeigt.“
Klicken Sie hier um das Interview mit der Familie des Suryanelli-Opfers zu hören
Das Gericht, das Kurien und die anderen freigesprochen hatte, sagte, ein Zeuge habe bestätigt, dass Kurien zum Zeitpunkt der Vergewaltigung nicht in der Pension gewesen sei. Dieser Zeuge allerdings behauptete, er habe ausgesagt, dass er Kurien sehr wohl in der Pension gesehen habe, und zwar ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem das Opfer vergewaltigt wurde! Er sagte, der zuständige Polizeibeamte habe seine Aussage geändert, um Kurien zu schützen. Außerdem seien ihm für sein Schweigen mehrfach Bestechungsgelder angeboten worden! Darüber hinaus hatte der eine in dem Fall verurteilte Mann ausgesagt, dass Kurien in der Pension war, dass er jedoch von dem Untersuchungsbeamten unter Druck gesetzt wurde, nicht gegen Kurien auszusagen!
Trotzdem hat sich die Regierung geweigert, Kurien seines Amtes zu entheben und seinen Fall aufgrund der neuen Beweise, die gegen ihn ans Tageslicht kamen, wieder aufzurollen!
Im Laufe der Jahre mussten das Opfer und ihre Familie ständig umziehen. Sie werden von der Gesellschaft weiterhin geächtet und sind Schikanen von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Nach dieser Odyssee machten sich Freunde rar und Verwandte brachen den Kontakt ebenfalls ab. Es wurde behauptet, dass der Vater seine Tochter verkauft und sein Haus mit dem Geld, das sie verdiente, bezahlt habe.
Nachdem sich das Opfer weigerte, Kurien von der Liste der Männer zu nehmen, die sie vergewaltigt hatten, sah sich die Familie weiteren Schikanen von ganz anderer Seite gegenüber. Sie lebten in Angst und bewegten sich oft nur zwischen Arbeit und Wohnung. Die Mutter trauert leise um das verlorene Glück ihrer beiden Töchter. „Wer wird sie heiraten?“ fragt sie. „Wer wird sich um sie kümmern, wenn wir nicht mehr da sind?“
Vor diesen Ereignissen war die Familie fest in ihrem Glauben verankert. Auch heute noch befinden sich im Wohnzimmer Abbildungen von der Heiligen Maria und von Jesus. An der Wand hängen Rosenkränze. Aber auch den Trost der Kirche haben sie verloren. Der örtliche Priester hat vorgeschlagen, dass sie sich eine Weile fernhalten, weil sie von anderen erkannt worden waren.
Sehen Sie sich das obige Video an, um zu verstehen, wie dieses Opfer und ihre Familie während der letzten 16 Jahre fortlaufend durch das politische System drangsaliert wurden.
Im Januar 2013 verabschiedete die indische Regierung als Reaktion auf den bahnbrechenden Bericht des Verma-Komitees über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen in Indien ein neues Gesetz gegen Vergewaltigung. Eine der wichtigsten Empfehlungen des Verma-Komitees besteht in der Garantie der Regierung, dass die einer Vergewaltigung angeklagen Politiker nicht im Amt bleiben dürfen – etwas, was das indische Gesetz derzeit gestattet.
Die Regierung jedoch machte diese Empfehlung zur Farce. Als am 19. Februar der Erlass zum Thema Vergewaltigungen im Parlament diskutiert wurde, war der Vorsitzende niemand anderer als P. J. Kurien!
Die Regierung ignoriert die Forderung, Kurien seines Amtes zu entheben und strafrechtlich zu verfolgen
Die Mutter des Opfers hatte einen Brief an Sonia Gandhi geschrieben, die der Kongresspartei vorsteht und außerdem Kuriens Vorgesetzte ist: „Wie kann er (Kurien) die Diskussion leiten, wenn der von der indischen Union verkündete Erlass, der die Emanzipation indischer Frauen in Bezug auf sexuelle Übergriffe gegen Frauen zum Ziel hat, im Oberhaus des Parlaments …(geprüft werden soll).“ Sonia Gandhi hat jedoch eigennützige Gründe für den Schutz von Politikern, die Vergewaltigungen begangen haben. Viele dieser Personen sind Mitglied ihrer Partei und haben die Vergewaltigungen an Sikh-Frauen in Delhi im Jahr 1984 organisiert! Weitere Informationen finden Sie hier.
Aber es kam noch schlimmer! Den demütigendsten Hieb gegen das Suryanelli-Opfer teilte im Mai 2013 die in den USA ansässige Frauenorganisation „Women Deliver“ aus, als sie Kurien als Gastredner ihrer globalen Konferenz zum Thema Fortpflanzungsrechte für Frauen einlud! Später tat Women Deliver diesen Schlag mit Nichtwissen ab! Sie haben sich nicht einmal unmittelbar beim Opfer entschuldigt! Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Frauengruppen in Indien kämpfen mit aller Macht gegen Kurien. Wer hat Kurien also als Redner empfohlen? Die Organisation „Women Deliver“ scheint mit US-amerikanischen Unternehmen und politischen Führungspersönlichkeiten Verbindungen auf höchster Ebene zu pflegen. Hat einer von ihnen persönliche Interessen in Indien und schlug deshalb Kurien vor? Und wenn es sich wirklich nur um einen „Fehler“ handelte, würde „Women Deliver“ dann nicht einen ernsthaften Versuch unternehmen, sich mit dem Opfer in Verbindung zu setzen? Stattdessen hat die Organisation ihren Fall als „Kontroverse“ abgetan.
Kurz nach der Women Deliver-Konferenz hat der eine Zeuge, der seine Haftstrafe angetreten und ausgesagt hatte, dass er Kurien nicht nur zu der Pension, in der das Mädchen gefangen gehalten wurde, begleitet hatte, sondern dass er von verschiedenen Behörden bedroht und bestochen wurde, plötzlich seine Aussage geändert! 16 Jahre später sagte dieser Mann plötzlich, er sei „betrunken“ gewesen und könne sich an die Ereignisse nicht erinnern! War es Teil der politischen Verschwörung, dass Kurien zu einer internationalen Frauenkonferenz hohen Kalibers eingeladen wird, wo er zusammen mit Leuten wie Melinda Gates und Chelsea Clinton im Rampenlicht stand? Sollte ihm dies zu einem Freispruch verhelfen? Wenn dies der Fall ist: Wie können wir sicher sein, dass Women Deliver nicht Teil dieser politischen Verschwörung war?
Bitte unterzeichnen Sie unsere Petition an Women Deliver und fordern Sie eine offizielle Entschuldigung für das Opfer:
ZUR ÜBERSETZERIN
Carmen Berelson ist gebürtige Deutsche, wurde in Deutschland zur Übersetzerin ausgebildet und übt diesen Beruf freiberuflich (Fachgebiete Recht, Wirtschaft und Finanzen) in den Vereinigten Staaten aus. Sie interessiert sich für die Rechte von Mensch und Tier, für Ethik und Umweltbelange. Carmen ist unter CBerelson@aol.com zu erreichen. Ihr Profil ist zu finden unter http://www.atanet.org/onlinedirectories/tsd_listings/tsd_view.fpl?id=2469.
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